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Mittwoch, 6. Dezember 2017

Sammys wauschönes Weihnachtsabenteuer - Kapitel 5



5. Eine nächtliche Begegnung 



Urwi hielt sich die Hand vor den Mund, als er gähnen musste. Er reckte die Arme in die Höhe, atmete tief ein und aus, kraulte Sammys Kopf und sagte:
"Alter Freund, ich muss gestehen, ich bin langsam bettschwer. Es ist schon spät, und um Mitternacht haben wir normalerweise Feierabend. Auch vor dem Weihnachtsfest."
Sammy nickte.
"Ja, ich bin auch müde, lieber Urwi. Es war doch ein langer und aufregender Tag für mich."
"Oh ja," sagte Urwi mitfühlend, "das glaube ich dir gern, alter Freund. Lass uns doch eine Mütze voll Schlaf nehmen, und morgen früh setzen wir in alter Frische unseren Rundgang fort. Was meinst du, Sammy?"
Sammy gähnte ebenfalls groß. Er nickte und streckte sich.
"Sehr gerne. Aber wo soll ich schlafen?"
Urwi lachte in vertrauter Weise und hielt sich, wenn auch ein wenig schläfrig, den Bart.
"Bei mir natürlich! Oder dachtest du etwa, ich lasse dich einfach hier draußen stehen?"
Jetzt musste auch Sammy lachen.
So stapften sie durch den pulveratigen Schnee noch einen Moment schweigend über das Gelände. Sammy hätte sich so gerne noch umgesehen, doch er fühlte sich wie erschlagen von all dem Neuen, das er heute hatte sehen dürfen.
Als sie Urwis Haus erreichten kam Sammy jedoch nicht umhin, nochmal einen genauen Blick auf alles zu werfen. Es war eine kleine Wohnsiedlung, wie ihm schien, alle Häuser ähnelten sich zwar, waren jedoch aus unterschiedlichen Matrialien gefertigt und hatten auch alle eine andere Farbe - oder sogar Farben. Manche hatten Fensterläden, bei anderen waren die Fenster ausladend groß, reichten bis zum Boden, mit schweren Vorhängen bedacht, während wieder andere mit leichten Rolläden bekleidet waren. In einige Fenster konnte man einfach so hineinsehen. Überall schienen noch kleine Lichter zu brennen, Feuer in Kaminen waren angezündet, und alles wirkte so friedlich. Die gesamte Straße lag an einer weitlaufenden Wiese. Es gab keine Zäune, keine Begrenzungen, und doch hatte jedes Haus einen kleinen Garten, in dem Blumen, Bäumchen oder Gemüse blühten. Es war herrlich anzusehen, und Sammy war einen Augenblick lang wieder hellwach.

Urwis Haus war urgemütlich - wie der uralte Wichtel selber. Es war fröhlich und in warmen, einladenden Farben gestaltet, mit knarrigen alten Möbeln, die einluden, es sich zu einem Schwätzchen gemütlich zu machen. Auf fast jedem Sitzmöbel lagen Kissen und Decken. Bilder von Urwis Frau und seinen Kindern zierten die Wände, Schnickschnack und Nippes standen herum und wurde von fein duftenden Kräutern und Blättern umrahmt.
"Entweder du machst es dir hier auf meinem Sofa gemütlich," sagte Urwi und deutete auf sein Lieblingsruhemöbel nahe dem leicht glimmenden Kamin, "oder du kommst einfach mit hoch in unser Gästezimmer. Natürlich kannst du dich auch jederzeit zu mir ins Zimmer gesellen, wenn du nicht alleine schlafen willst, es steht dir frei, alter Junge."
"Und deine Familie? Werde ich sie nicht stören?"
Urwi seufzte schwer.
"Das, lieber Freund, erzähle ich dir ein andermal. Ich bin nunmehr alleine hier. Die Bilder, die du hier sehen kannst, sind schon sehr, sehr alt. Sie erzählen eine andere Geschichte."
Urwi blickte Sammy mit traurigem Blick an. Mit einemmal wirkte der sonst so fröhliche und ausgeglichene, immerzu gut aufgelegte Wichtel wie ein vom Leben gebeutelter Mann. Sammy drückte sich fest an ihn und rieb seine Wange an Urwis Gesicht. Sie umarmten einander einen Moment, und dann lächelte Urwi und sagte, fast schon wieder in seinem heiteren Tonfall: "So, und nun ab ins Traumland! Morgen wird ein aufregender Tag!"

Mitten in der Nacht wachte Sammy auf. Er hatte sich entschlossen, in Urwis Zimmer zu übernachten. Urwi hatte dort einen äußerst gemütlichen Sessel, den Sammy unwiderstehlich fand. Doch ein seltsames Gefühl hatte ihn aufwachen lassen, und er war im ersten Moment desorientiert und fühlte sich einsam. Sein Gastgeber hatte ihm vor dem Zubettgehen noch das Haus gezeigt, und er hatte Sammy gesagt, er könne jederzeit nach draußen, wenn er wolle. Er schien zu wissen wie es war, wenn man seine Familie verloren hatte, das hatte Sammy aus Urwis Worten herausgehört. Urwi hatte ihm die Verandatür einen Spalt breit geöffnet, damit er im Garten Luft schnappen konnte. Und so lief Sammy durch den Spalt nach draußen, auf die Veranda, die leise unter seinem Tritt knarrte. Zwei Schaukelstühle standen regungslos, von kleinen Kräutertöpfen umringt, und es schien Sammy, als warteten sie auf etwas - oder jemanden.
Sammy schnupperte die kalte Luft und saß einen Moment einfach so da, gedankenverloren. Er dachte an Jeff und seine Familie. Und dann dachte er über Urwi und seine Familie nach. Was ihm wohl geschehen war? Er schien viele Kinder zu haben, wo waren sie jetzt wohl?
Dann vernahm er ein Geräusch. Ein kaum hörbares Knacken ließ ihn aufhorchen. Mit einem Satz war er fast am Rand des kleinen Gartens angelangt, der sich vor der Veranda erstreckte. Er sah einen großen, fast massigen Schatten auf der schmalen Straße. Sammy gab einen leisen, jaulenden Laut von sich. Ein leises: "wer ist da?" wagte er noch. Dann horchte und beobachtete er wieder.
"Wer hat das gesagt?" antwortete eine tiefe Stimme aus der Dunkelheit.
"Ich!" sagte Sammy und lief an den Rand der Straße. Der Schatten kam auf ihn zu. Und dann, im matten Schein der Laterne, sah Sammy einen riesigen Mann, dickbäuchig und rotwangig.
"Ich?" sagte die brummige Stimme. "Wer ist ich? Ich habe dich hier noch nie gesehen!"
"Sammy, ich bin Sammy," sagte Sammy nachdrücklich. "Wer bist du und was machst du bei Urwis Haus?"
Ein tiefes Lachen erklang, und der Mann hielt sich seinen vollen, weißen, krausen Bart.
"Du bist also Urwis Gast? Ich habe schon von dir gehört, irgendwer hatte es heute abend erwähnt, ich weiß nicht wer... ach ja, Huwi war es wohl. Wie dem auch sei - du kennst mich nicht?!"
Ein wenig Erstaunen lag in der Stimme des gewaltigen Mannes. Sammy schüttelte den Kopf.
"Ich bin der Weihnachtsmann," antwortete der riesige Kerl.
"Wenn du der echte Weihnachtsmann bist," erwiderte Sammy skeptisch, "wo ist dein roter Anzug, der Mantel, die schöne rote Mütze?"
Der Weihnachtsmann lachte lauthals und hielt sich den Bauch, so schüttelte es ihn.
"Das ist nur ein Irrglaube, mein neuer Freund! Ich habe keinen roten Mantel, keinen roten Anzug, und auch keine rote Mütze. Ich habe eine ganz besonders schöne Montur für den heiligen Abend. Diese Kleider ziehe ich aber wohl kaum jeden Tag an, nicht wahr?! Sie sind etwas ganz Außergewöhnliches, und zudem: wer will schon den ganzen Tag und noch dazu die Nacht in seinen Arbeitsklamotten rumlaufen?" Beim letzten Teil des Satzes zwinkerte er und lachte erneut lautstark.
"Jedenfalls: -" fuhr er fort, "anderen bin ich bekannt als Nikolaus. Du kannst mich Niki nennen, oder Nicki oder auch Santa oder einfach Weihnachtsmann oder Herr Claus oder irgendwie anders... such' dir was aus!"
Wieder ließ er sein tiefes, summendes Lachen ertönen.
"Niki?!" sagte Sammy bedächtig. "Das gefällt mir. Warum bist du noch nicht im Bett? Urwi sagte, alle haben Feierabend und gehen schlafen."
Niki ließ sich auf dem winzigen Gehsteig neben Sammy nieder und begann, sachte sein Fell zu kraulen. Er lachte leise.
"Ich gehe später als alle anderen ins Bett, Sammy, und ich stehe auch früher auf. Aber jede Nacht um diese Uhrzeit gehe ich noch zu Auwi, um einen letzten Schlummertrunk zu mir zu nehmen."
Sammy nickte.
"Jeff hat mich manchmal mitgenommen, nicht sehr oft, aber es kam schon vor. Er sagte auch, er wolle noch einen Schlummertrunk zu sich nehmen, damit er ein wenig ausspannen könne vom langen Tage."
Sammys Blick schweifte erneut in weite Ferne. Ach, wie sehr er Jeff vermisste!
Niki kraulte Sammys traurigen Kopf.
"Komm mal mit, Sammy, ich zeige dir etwas. Vielleicht bringt es dir etwas Hoffnung."
Mit ein paar Ächzern stemmte sich der massige Mann auf und bedeutete dem Hund mit der Hand, ihm zu folgen. Sie liefen eine ganze Weile schweigend nebeneinander in der Nacht, entfernten sich mehr und mehr von der Straße und den Häusern, und Niki führte Sammy in den Wald. Sie bahnten sich einen Weg durch die wild wachsenden Bäume und Kräuter, Büsche und Wildblumen. Auf allem hier lag ein seichtes Glitzern, und ein angnehm frischer und doch warmer Geruch erfüllte ihre Nasen. Jeder ihrer Schritte wurde von einem zarten, warmen, goldenen Schimmern begleitet. Den selben Schein hatte Sammy schon in der Geschenke-Abteilung bemerkt.
"Woher kommt dieses Schimmern?" fragte Sammy leise.
Niki griff in seine Tasche und bedeutete Sammy mit einer Kopfbewegung, nachzusehen. In der Tasche saß ein glimmendes Etwas, ähnlich der seltsamen Lampen, die er überall hatte sehen können.
"Was ist das?" wollte er grübelnd wissen.
"Das ist eine Luxi. Du wirst später noch einige kennenlernen. Es sind Pflanzen. Diese hier, Holly, ist mir sehr ans Herz gewachsen - und ich ihr wohl auch." Niki zwinkerte lachend. "Sie weicht mir nicht von der Seite."
Er schloss die Klappe seiner Tasche, und sie staksten weiter durch den Wald.
Dann hielt der Weihnachtsmann inne und trat an einen riesigen, uralten Baum heran. Das Blätterdach bestand aus unzähligen Farben und unendlich vielen, verschiedenen Blättern, als wären unterschiedliche Bäume in diesem einen vereint. Sein massiger Stamm konnte nicht von zehn großen Männern umfasst werden, so wuchtig war dieser Waldbewohner. Behutsam legte Niki seine Hände auf den Stamm und lud Sammy ein, sich an dem Baum niederzulassen.
"Als ich hierher kam, war dieser Baum ein kleiner Setzling. Kaum zwei Blätter hatte er am Stielchen, und sein Kopf hing hinunter. Ganz traurig wirkte er, hilflos und verloren. Ich pflanzte ihn damals hier ein. Weißt du, Sammy, hier war alles frei, es gab nichts außer ein paar Grashalmen. Alles war leer und unbewohnt. Mittlerweile ist mein grüner Freund schon über zwei Jahrtausende alt, so lange kenne ich ihn schon. Wenn er weg wäre, wäre ich sehr bekümmert. An ein Leben ohne ihn kann ich mich kaum noch mehr erinnern. Es gab schon Zeiten, in denen sah es nicht so blühend aus wie jetzt. Es herrschten finstere Mächte. Mein Freund war kurz vor dem Fallen, und doch haben wir es gemeinsam geschafft. Die Hoffnung macht alles möglich, Sammy! Und solange es Hoffnung gibt, wird dieser Baum leben. Solange dieser Baum lebt, wird es die Weihnachtswelt geben."
Er streichelte Sammys Fell, kraulte ihn und nahm dann seinen Kopf in die großen Hände.
"Es gibt immer Hoffnung, Sammy! Ich verspreche dir, das alles gut wird! Du hast mein Ehrenwort!"
Sammy schmiegte sich an den dicken, riesigen Mann und fühlte sich so behütet wie bei Urwi schon. Die Einsamkeit war gewichen und er sah mit neuem Mut in die Zukunft.
"Und nun, mein neuer Freund, lass uns gemeinsam einen Schlummertrunk bei Auwi nehmen! Dann wollen wir zu Bett gehen, und morgen früh seid du und Urwi zu einem herzhaften Weihnachtsfrühstück bei mir zu Hause geladen. Wie klingt das für dich?"
Sammy wedelte freudig mit dem Schwanz und schlabberte Niki über die rosigen Wangen. Dann machten sie sich auf den Weg zu Auwi, dem Ausschank-Wichtel. Wie Sammy nun von Niki erfuhr trugen die meisten sehr alten Wichtel nur noch Abkürzungen ihrer Tätigkeiten als Vornamen. Kaum einer erinnerte sich noch an die Namen, die ihnen ihre Eltern bei der Geburt gegeben hatten.

Die Schenke war nicht weit der Straße entfernt, in der Urwi wohnte. Ein, wie sollte es anders sein, uriges Lokal. Niemand war mehr hier, und Auwi saß vertieft in eine Lektüre hinter dem Tresen.
"Großer, ich habe mich schon gefragt, wann du endlich auftauchst!" rief Auwi begeistert, als die beiden zur Tür hereintraten.
Niki stellte Sammy und Auwi einander vor, und dann orderte er für sich "das Übliche" und für Sammy "etwas ganz Besonderes, das unserem vierbeinigen Freund schmecken könnte". Sammy war gespannt.
Anders als gewohnt ließ Niki sich heute jedoch nicht am Tresen nieder, sondern bezog mit Sammy eine gemütliche Kuschelecke mit Sesseln und Sofa. Sammy nahm das Sofa ein, während "der Große" (Sammy erinnerte sich, das Urwi den Weihnachtsmann am Abend ebenso genannt hatte) es sich in einem hohen Ohrenbackensessel bequem machte. Er entledigte sich seiner Jacke, die er auf den nächsten Sessel legte, und lockerte seinen Gürtel. Nur in einem kurzärmeligen T-Shirt saß er da und seufzte wohlig. Holly kletterte aus der Jackentasche und huschte zum Kamin.
Auwi tischte Niki einen riesigen Humpen mit einer gelblichen, warmen Flüssigkeit auf, und stellte Sammy einen breiten Napf mit einer ebensolchen Flüssigkeit auf den Tisch.
"Wohl bekomms!" sagte er und setzte sich wieder auf seinen Hocker hinter dem Tresen.
Niki prostete Sammy zu. Dieser schnupperte einen Augenblick an dem Getränk, das Auwi ihm kredenzt hatte. Es roch ein wenig wie Rührei, das Jeff so gerne aß, doch mit einer leichten Note von Kräutern, Nüssen und Zimt. Süß und herb gleichermaßen. Sammy probierte vorsichtig mit der Zungenspitze. Der Geschmack schien auf seiner Zunge zu tanzen, und er konnte gar nicht genug von dem unbekannten Getränk bekommen.
"Na, das ist was Feines, nicht wahr?" sagte Niki und trank ein paar große Züge. Er bestellte noch eine Runde. Und so saßen sie halb, halb lagen sie auf ihren behaglichen Sitzen und lächelten sich an. Eine ungewohnte Wärme und Wohligkeit erfüllte Sammy, und er fühlte sich frohen Mutes und - im wahrsten Sinne des Wortes, und wenn es nicht auf ihn zutrifft, auf wen dann? - hundemüde.

Nach ihrem Schlummertrunk geleitete Niki Sammy noch zu Urwis Haus. Sie verabschiedeten sich, und Sammy trottete zwar schlapp, doch ebenso glückselig nach oben in Urwis Schlafzimmer. Er kuschelte sich auf Urwis Sessel, nahm die kleine, nach Urwi riechende Decke zwischen seine Vorderpfoten, und schloss die Augen. Über all die verwunderlichen aber auch wunderschönen Bilder, die er vom Weihnachtsdorf im Kopf hatte, schlief er endlich fest ein.

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